Dr. Frauke Viebahn

Systemisches Coaching - Training - Lehre


…Jugendliche, die alleine zurechtkommen (müssen)

Es gibt sie immer noch, wenn auch deutlich seltener. Jugendliche, die aus diversen Gründen keinen familiären bzw. elterlichen Support auf ihrem spannenden Weg in ihr Erwachsenen- bzw. Berufsleben haben.

Die Zahl schwankt zwar leicht, hat sich jedoch laut des statistischen Bundesamtes bei ca. 50.000 eingependelt. Es handelt sich um die Anzahl der minderjährigen Kinder und Jugendlichen, die jedes Jahr wegen einer akuten oder länger schwelenden Kindeswohlgefährdung in Obhut genommen werden. Gründe sind vor allem elterliche Überforderung, Vernachlässigung und körperliche bzw. seelische Misshandlungen. Immerhin in ca. einem Drittel der Fälle wurde den Eltern das Sorgerecht nach einem Klärungsprozess in einem Familiengerichtsverfahren entzogen. In 38.785 Einrichtungen der Jugendhilfe, arbeiteten im Jahr 2019 263.106 Menschen. Die Ausgaben dafür betrugen 62 Mrd. Euro. Diese haben sich seit dem Jahr 2009 verdoppelt. Insgesamt wachsen in Deutschland heute ca. 200.000 Minderjährige nicht bei ihren Eltern, sondern in entsprechenden Heimeinrichtungen (ca. 123.000) oder Pflegefamilien (ca. 87.000) auf.

Genug der Zahlen. Was bedeutet dies für die Betroffenen selber? Während die Bedingungen in Heimen früher noch häufig von Angst, Druck, Gewalt und Übergriffen geprägt waren, was in beeindruckenden Dokumentationen und Zeitzeugenberichten mittlerweile bekannt ist, handelt es sich heute um professionelle Institutionen, in den Fachpersonal sich den Bedürfnissen der Kinder und Jugendlichen annimmt und diese oft über Jahre begleitet. Ziel ist es, den Kindern und Jugendlichen soviel Normalität wie möglich zu bieten und ihre gesellschaftliche Teilhabe zu stärken. Doch selbst nach Erreichen des 18. Lebensjahrs besteht die Möglichkeit, dass die Jugendlichen pädagogisch und finanziell weiterhin unterstützt werden.

Es zeigt sich jedoch, dass der Übergang für die sogenannten „Careleaver“, also diejenigen, die die Fürsorge verlassen (müssen), ein schwieriger ist. Die Jugendlichen müssen in der Regel mit 18 Jahren aus den Heimeinrichtungen ausziehen, sich um eine eigene Wohnmöglichkeit kümmern und ihre Ausbildung bzw. ihre Schullaufbahn weiterplanen und verfolgen. Die verschiedenen Herausforderungen, denen sich die Betroffenen stellen müssen, werden u.a. auf der Homepage des Vereins Careleaver e.V. beschrieben. In seinem Positionspapier fordert der Verein stärkeren rechtlichen Support oder vermehrte weiterführende Hilfen für die Betroffenen. Es geht dabei vor allem um den Aspekt der „ressourcenorientierten Jugendhilfe.“ Dieser Aspekt soll an dieser Stelle in den Fokus gestellt werden.

Entwicklungsrisiken für Kinder und Jugendliche, die unter schwierigen Bedingungen mit Abbrüchen aufwachsen, sind sicherlich belegt. Dennoch sollten gerade die jungen Menschen, die sich bereits in jungen Jahren besonderen Herausforderungen stellen mussten, in ihrer ganzen Stärke gesehen werden. Dementsprechend wird betont, dass es nicht nur um einen Unterstützungsbedarf im Falle von Defiziten gehen darf, sondern dass die jungen Menschen ebenso oder eben gerade in ihren Ressourcen, Motivationen, Visionen und Zielen unterstützt werden sollten.

Genau an dieser Stelle kommen Unternehmen und potenzielle Arbeitgeber ins Spiel, deren Stärke-orientierte Haltung gefragt ist. Verständlicherweise wird sich niemand unmotivierte oder uninteressierte Auszubildende in seine Firma holen. Das ist nachvollziehbar!

Wenn die Careleaver jedoch mit ihren Potenzialen gesehen werden, können entsprechende Entwicklungsmöglichkeiten geschaffen werden, z.B. in der Ausbildung und in der Bildung. Es wäre schön, wenn die 62 Mrd. Euro Jugendhilfe noch nachhaltiger investiert würden, denn:

„Wessen wir im Leben am meisten bedürfen, ist jemand, der uns dazu bringt, das zu tun, wozu wir fähig sind.“

Ralph Waldo Emerson

Weitere Insights

  1. „Berufswahl“

    „die Qual der Wahl“ oder „die freie Wahl“

    In Deutschland stehen Jugendlichen, die sich ihrem Abschlussjahr in der Schule nähern, 324 anerkannte Ausbildungsberufe und 21.200! Studiengänge zur Verfügung. Das bedeutet, die jungen Menschen müssen sich entscheiden. Diese Entscheidung fällt vielen im zarten Alter von 16-19 Jahren verständlicherweise schwer. Das Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung (so etwas gibt es sicherlich nur in Deutschland😉) hat festgestellt, dass mindestens jeder fünfte Jugendliche nicht weiß, wie er sich beruflich orientieren soll. Viele schieben diese Entscheidung infolgedessen durch ein freiwilliges soziales oder ökologisches Jahr oder Ähnliches noch hinaus. So reifen sie noch ein bisschen.

Hindernisse und Schwierigkeiten sind Stufen, auf denen wir in die Höhe steigen. (Friedrich Nietzsche)